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In Gedenken an Mahmud Azhar: gemeinsam gegen Rassismus und Gewalt

Universitätsangehörige erinnern an den vor 34 Jahren getöteten Biochemie-Doktoranden, Kommilitonen und Kollegen

21.03.2024

Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe Riemschneider im Institut am Ostpreußendamm 111, Mitte der 80er Jahre. Mahmud Azhar ist ganz rechts zu sehen. Außerdem im Bild sind „Musketier“ Gerhard Buchlow (Bildmitte), Professor Abdelwahab Kinawi und sein Sohn.

Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe Riemschneider im Institut am Ostpreußendamm 111, Mitte der 80er Jahre. Mahmud Azhar ist ganz rechts zu sehen. Außerdem im Bild sind „Musketier“ Gerhard Buchlow (Bildmitte), Professor Abdelwahab Kinawi und sein Sohn.
Bildquelle: Thomas Wons

Im Mai 1990 hätte Mahmud Azhar seine Doktorarbeit an der Freien Universität abschließen sollen. Doch wenige Monate zuvor wurde er Opfer eines rassistischen Angriffs und starb. 

Als der damals 39-jährige Biochemie-Doktorand aus Pakistan am Abend des 7. Januar 1990 das Institutsgebäude für Biochemie am Ostpreußendamm in Lichterfelde verlässt, beleidigt ihn ein ihm unbekannter Mann rassistisch und schlägt ihn nieder. Nach zwei Monaten Krankenhausaufenthalt erliegt Mahmud Azhar am 6. März 1990 seinen Verletzungen. 

Zum 34. Jahrestag seines Todes versammelten sich rund 30 Universitätsangehörige im Hahn-Meitner-Bau, dem heutigen Sitz des Instituts für Biochemie an der Freien Universität, um an Mahmud Azhar zu erinnern und ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Studierende, Beschäftigte und Mitglieder des Präsidiums gedachten mit Redebeiträgen, Blumen und einer Schweigeminute des Toten. 

Biochemie-Professorin Sutapa Chakrabarti: Die Freie Universität soll ein sicherer Hafen für Forschende und Studierende sein

Biochemie-Professorin Sutapa Chakrabarti: Die Freie Universität soll ein sicherer Hafen für Forschende und Studierende sein
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Schutz für Forscher*innen und Studierende

„Wir stehen hier, um daran zu erinnern, dass Ungerechtigkeit und Rassismus noch immer existieren und dass jeder von uns die Aufgabe hat, aktiv dagegen anzugehen“, sagte Sutapa Chakrabarti, Biochemie-Professorin am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie. Gerade ihr Fach, die Biochemie, ziehe Forscher*innen und Studierende aus der ganzen Welt an. „Wir alle sind aufgefordert, dafür einzutreten, dass diejenigen, die auf der Suche nach Wissen sind, die Freie Universität Berlin – und die Welt im Allgemeinen – ihren sicheren Hafen nennen können.“

Universitätspräsident Günter M. Zieglererklärte: „Die Erinnerung an das brutale und sinnlose Verbrechen mahnt uns zu unserer Verpflichtung, uns aktiv gegen Rassismus, Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung einzusetzen.“ Er nannte fehlendes Wissen und die fehlende Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen, den „Nährboden für Gewalt“. Damit es zu Verbrechen wie dem vom 7. Januar 1990 erst gar nicht kommt, seien vor allem Bildung, Erinnerung und Dialog nötig. Den Studierenden dankte er für ihr unablässiges Engagement, sich für ein würdevolles Gedenken an Mahmud Azhar einzusetzen. 

Für einen Campus ohne Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt: Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler

Für einen Campus ohne Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt: Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Der Überfall auf Mahmud Azhar stehe für sich, sagte der Universitätspräsident. Er sei aber auch ein Beispiel für den Hass und die Gewalt, „gegen die wir uns heute genauso wehren müssen wie in den 1990er Jahren, wie in den Jahren davor und danach.“ In seiner Gedenkansprache ging der Präsident darauf ein, wie der Krieg in Gaza als Reaktion auf den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober sich auf die Freie Universität ausgewirkt habe: „Wir hören verstärkt, dass sich Universitätsangehörige auf unserem Campus nicht mehr sicher fühlen.“ Menschen fühlten sich bedroht, zum Teil sei die Bedrohung eine „erschütternde Tatsache“. Um Lösungsansätze scheint es manchen Personen in den Gruppen, die sich politisch teils unversöhnlich gegenüberstehen, wenn überhaupt, nur noch am Rande zu gehen. Darauf, Lösungen zu finden, komme es aber an.

Janik Hollnagel studiert Geschichte im Master. Er setzt sich dafür ein, die Erinnerung an Mahmud Azhar am Leben zu halten.

Janik Hollnagel studiert Geschichte im Master. Er setzt sich dafür ein, die Erinnerung an Mahmud Azhar am Leben zu halten.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Erinnerung am Leben halten

„Mahmud Azhar wurde allein deshalb angegriffen, weil er in den Augen des Täters ein ‚Ausländer‘ war“, sagte Janik Hollnagel, der für die 2022 von Studierenden gegründete Gedenk-AG Mahmud Azhar sprach. Damit sei er ein frühes Opfer des insbesondere nach dem Mauerfall 1989 grassierenden Rassismus in Ost- wie Westdeutschland gewesen. Mahmud Azhar werde von der Statistik des Bundeskriminalamts über Todesopfer rechter Gewalt jedoch nicht erfasst, da die Bundesregierung eine solche Statistik erst seit der Vereinigung beider deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 führe. 

Universitätsangehörige legen Blumen vor der Gedenktafel im Hahn-Meitner-Bau nieder. Dort fand die Gedenkveranstaltung statt.

Universitätsangehörige legen Blumen vor der Gedenktafel im Hahn-Meitner-Bau nieder. Dort fand die Gedenkveranstaltung statt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Der Täter im Fall Mahmud Azhar war mit einer einjährigen Bewährungsstrafe davongekommen. Das Landgericht Berlin hatte weder Tötungsabsicht noch ein rassistisches Tatmotiv erkannt, obwohl es in der Urteilsbegründung „Äußerungen“ des Angeklagten feststellte, „die ausländerfeindlichen Charakter trugen“. Rassistische Tatmotive seien von Politik und Justiz viel zu lange nicht wahrgenommen worden, erläuterte Janik Hollnagel. Es sei heute noch immer dringend, dass eine solche Verharmlosung nicht Platz greife. Der Geschichtsstudent erinnerte an den Menschen Mahmud Azhar, der vielen Menschen mehr gewesen sei als eine Ziffer in der Statistik: ein Freund, Kommilitone und Kollege. 

Geboren wurde Mahmud Azhar 1950 im pakistanischen Karatschi. Mit nur 18 Jahren schloss er in seinem Geburtsland einen Bachelor of Science im Fach Chemie ab. 1970 hatte er einen ersten Masterstudiengang im Fach Chemie erfolgreich beendet, daran schlossen sich zwei weitere Masterprogramme an. Neben seiner Begeisterung für die Wissenschaft spielte er gern Badminton, interessierte sich für Fotografie und Bergsteigen. Seit 1974 war er Promotionsstudent am Institut für Biochemie der Freien Universität. Er arbeitete zunächst als Tutor, von 1985 an als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Chemieprofessor Randolph Riemenschneider. Nach der Promotion wollte er in Pakistan in der Lehre tätig werden.

Die Drei Musketiere der Biochemie (v. l.): Klaus Hennig, Thomas Wons und Gerhard Buchlow. „Mahmud Azhar war ein echter Kumpel.“

Die Drei Musketiere der Biochemie (v. l.): Klaus Hennig, Thomas Wons und Gerhard Buchlow. „Mahmud Azhar war ein echter Kumpel.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ein friedvoller, liebenswerter Mensch und Kollege

1991 wurde auf Beschluss des Akademischen Senats der Freien Universität eine Gedenktafel am Tatort, dem Ostpreußendamm 111 in Lichterfelde, angebracht. 2014 widmete der AStA der Freien Universität Mahmud Azhar eine Ausgabe seiner Zeitschrift. In der Folge organisierten Studierende Gedenkkundgebungen, denen sich 2022 die Leitung der Freien Universität zum ersten Mal anschloss. Da das Gebäude am Ostpreußendamm seit Langem nicht von der Freien Universität genutzt wird, wurde die Gedenktafel vor zwei Jahren auf den Dahlemer Campus, in das heutige Institutsgebäude der Biochemie verlegt – in den Hahn-Meitner-Bau an der Thielallee 63, unweit der Rostlaube. 

Bei der Gedenkveranstaltung am 6. März 2024 waren auch Gerhard Buchlow, Klaus Hennig und Thomas Wons anwesend. Als die „Drei Musketiere“ bekannt, waren die technischen Angestellten viele Jahre im Institut am Ostpreußendamm tätig und hatten Mahmud Azhar in dieser Zeit näher kennengelernt. „Mahmud Azhar war liebenswert, friedvoll, äußerst zurückhaltend, niemand, der sich gern in den Mittelpunkt stellte“, erinnerte sich Gerhard Buchlow in einer kurzen Stegreif-Ansprache. „Wir haben viel Freude mit ihm gehabt, zusammen Volleyball gespielt, Feste gefeiert. Er war ein toller Kerl. Ein Kumpel.“